Skandal im ORF und in der Styria – ORF-Redaktionsrat und PRESSE-Redakteure fordern Konsequenzen
Wien, 7. November 2022 – Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit sind das höchste Gut im Journalismus. Der ORF-Redaktionsrat ist entsetzt über die jetzt bekannt gewordenen Chats von TV-Chefredakteur Matthias Schrom mit dem damaligen Vizekanzler und FPÖ-Obmann Heinz Christian Strache. Derartiges Verhalten ist aus Sicht der Redakteurssprecher völlig inakzeptabel und verursacht einen massiven Schaden für den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk. Die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung ist durch solch ein Verhalten der Verhaberung zwischen dem Verantwortlichen der wichtigsten Nachrichtensendungen Österreichs und dem Chef einer Regierungspartei gefährdet.
Unabhängigkeit ist nicht nur das Recht der ORF-Journalistinnen und -Journalisten, sondern auch deren Pflicht. So steht es im ORF-Gesetz. Und journalistische Mitarbeiter:innen und Programmverantwortliche haben laut Programmrichtlinien alles zu unterlassen, das geeignet sein könnte, Zweifel an der Unabhängigkeit des ORF aufkommen zu lassen. Gegen ORF-Gesetz und Programmrichtlinien hat Matthias Schrom eklatant verstoßen, wenn man den Bericht der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft liest, stellen die ORF-Redakteursräte fest.
Der Eindruck von Absprachen zwischen TV-Chefredakteur und FPÖ-Chef ist nicht nur in der Öffentlichkeit verheerend, sondern auch innerhalb des Unternehmens. Eine der wichtigsten Führungspersonen des ORF hat journalistische Mitarbeiter:innen des eigenen Unternehmens gegenüber dem damaligen Vizekanzler und FPÖ-Chef in ein schlechtes Licht gerückt und sie politisch punziert. Redaktionsleiter müssen den eigenen Journalist:innen gegen Interventionen aus der Politik den Rücken stärken – und ihnen nicht in den Rücken fallen. Anders kann es nicht verstanden werden, wenn ein Chefredakteur einem Regierungspolitiker und Parteichef Tipps gibt, wie er gegen Kolleg:innen vorgehen und Einfluss im ORF nehmen kann.
Um weiteren Schaden von der journalistischen Glaubwürdigkeit des ORF abzuwenden, fordert der ORF-Redakteursrat die Geschäftsführung auf, deutliche Konsequenzen zu ziehen. „Die Beurlaubung Schroms und die Prüfung des Vorfalls durch den Ethikrat begrüßen wir. Doch es kann nicht ohne weitere Folgen bleiben: politische Analysen auf Sendung oder die Moderation der Runde der Chefredakteur:innen oder ähnliche Auftritte im Programm sind nach den nun bekannt gewordenen politischen Naheverhältnisses mit der Glaubwürdigkeit der Berichterstattung nicht mehr vereinbar. Die politische Sauberkeit, die wir von anderen einfordern, müssen wir auch im eigenen Haus umsetzen.“
Um dem betroffenen TV-Chefredakteur und allen Mitgliedern der ORF-News-Redaktion – Radio, TV und Online – die Möglichkeit zur Aussprache zu geben, ist für Donnerstag eine Redaktionsversammlung geplant. Da wird über das weitere Vorgehen beraten.
ORF-Generaldirektor Roland Weißmann hat den ORF-Ethikrat ersucht, den Sachverhalt rund um die Chats zwischen ORF-News-TV-Chefredakteur Matthias Schrom und dem damaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache zu prüfen. Schrom tritt ab sofort seinen Urlaub an, bis auf weiteres ist die stellvertretende Chefredakteurin Eva Karabeg interimistisch mit der Redaktionsleitung beauftragt.
ORF-Generaldirektor Weißmann begrüßt den Urlaubsantritt von Matthias Schrom, um eine unbelastete Beurteilung zu ermöglichen. „Die Optik der Chats ist verheerend und so habe ich den Ethikrat um Prüfung ersucht. Die Glaubwürdigkeit der ORF-Nachrichten steht trotz dieser Chats weiterhin außer Zweifel. Die ORF-Redakteur:innen arbeiten weisungsfrei und einzig auf Basis von ORF-Gesetz und Redaktionsstatut. Ihre Berichterstattung war, ist und bleibt unbeeinflussbar, das liegt auch daran, dass die bisherige Amtsführung von Matthias Schrom fachlich unumstritten war.“
Der ORF interne Ethikrat ist zuständig für die Beratung aller Maßnahmen zur Einhaltung und Eignungsprüfung des Verhaltenskodex für journalistische Tätigkeit.
Die Styria Media Group AG hat als Reaktion auf die Vorwürfe gegen „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak, die Gegenstand jüngster Medienberichterstattung sind, entschieden diese Vorwürfe im Rahmen einer internen Prüfung zu untersuchen. Rainer Nowak stellt seine Funktionen als Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“ aus eigener Entscheidung bis zum Vorliegen der Untersuchungsergebnisse ruhend. Florian Asamer, stellvertretender Chefredakteur der „Presse“, führt bis zum Vorliegen der Ergebnisse die Chefredaktion.
Die immer neuen Enthüllungen der Chats zwischen dem ehemaligen Finanzministeriums-Generalsekretär und späteren ÖBAG-Chef Thomas Schmid bzw. Ex-FP-Chef HC Strache mit den Chefredakteuren Rainer Nowak (Die Presse) und Matthias Schrom (ORF 2) zeigen nicht nur, dass der bestehende Ehrenkodex der österreichischen Presse zu verschärfen ist. Es muss auch die Unabhängigkeit der Redaktionen gegen jedwede Einflussnahme von außen dringend weiter gestärkt werden. “Eines der wirksamsten und wesentlichen Elemente dafür ist die dringend gebotene Verpflichtung zu Redaktionsstatuten, die nicht nur klare Richtlinien beinhalten, sondern neben der Wahl eines Chefredakteurs auch die Abwahl von Chefredakteur möglich machen”, fordert Eike-Clemens Kullmann, Vorsitzender der JournalistInnengewerkschaft in der GPA.
Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich eine Liste mit Vorschlägen erstellt, um die Unabhängigkeit der Berichterstattung in Österreich zu stärken:
- Audit/Prüfung: Einsetzen einer Aufklärungskommission, die in Verdachts- und/oder Machtmissbrauchsfällen unabhängig ermittelt
- Stärkung des Redaktionsrats:als Kontrollorgan verstehen, der Unabhängigkeit wahrt
- Compliance Regeln – Aufstellung klarer Richtlinien, v.a. in Bezug auf Grauzonen
Es stehen seit vielen Monaten schwere Vorwürfe im Raum, fast nichts wird über die mediale Bühne diskutiert. Deswegen wird RSF Österreich auf seiner Website eine Plattform für Medienschaffende einrichten, die zur Diskussion anregen soll, aber auch Verstöße intern aufzeigen kann, anonym wenn nötig.
Fritz Hausjell, Präsident von “Reporter ohne Grenzen Österreich“, begründet den neuen Service wie folgt: “Die klare Distanz von Journalist:innen zu Machteliten in Politik, Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen ist eine wesentliche Voraussetzung für unabhängigen Journalismus. Dieses Selbstverständnis muss in Österreich bei einem Teil der handelnden Akteur:innen im Journalismus nachgeschärft werden. Die Medienkritik in den Medien selbst hat bisher zu wenig konsequent als Watchdog gegenüber den eigenen Reihen gearbeitet. Daher bietet ‘Reporter ohne Grenzen Österreich’ sich ab nun als Plattform für die notwenige Aufklärung und Diskussion an.“
(OTS/IIM)