Public Value Beirat sieht Bedeutung des ORF gefährdet

Wien, 11. November 2022 – Der Public Value Beirat sieht die konstruktive und unersetzliche Rolle des ORF in der österreichischen Medienlandschaft und für eine demokratische Öffentlichkeit gefährdet. Diese Gefährdung ist nicht neu, aber neuerdings zugespitzt. Aktueller Anlass ist die Bekanntgabe von ORF-Generaldirektor Roland Weißmann, das Textangebot auf der so genannten „Blauen Seite“, also der Informations-Website des ORF (orf.at), zu Gunsten von mehr Videomaterial zu halbieren. Diese Ankündigung geht aus Sicht des Beirates unter Vorsitz von Frau Prof. (em.) Dr. Irene Neverla in eine falsche Richtung. Videoclips sind eine sinnvolle und notwendige Begleitung zum Nachrichtenmaterial. Texte sind und bleiben jedoch das Kernmaterial von Qualitätsjournalismus und zur Vermittlung von Informationen, Hintergrundwissen und Meinungsbildung.

Damit droht dem ORF ein Verlust an Qualität und Attraktivität für das Publikum bzw. die User:innen. Hier wird ohne sachlich nachvollziehbaren Grund und zum Nachteil der Position des ORF im Gesamtgefüge der österreichischen Medienlandschaft eine starke Grundfunktion des ORF beschnitten.

Der Public Value Beirat bekräftigt aus wissenschaftlicher Sicht, dass der ORF als öffentlich-rechtliches Medienunternehmen eine tragende Säule in der medialen Infrastruktur darstellt und dass er Qualitätsjournalismus in Österreich trägt und stützt. Wenngleich auch die Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks immer wieder auf die Probe gestellt, geprüft und optimiert werden muss, so ist doch insgesamt seine zentrale und tragende Rolle für die Qualität des Medienangebots wissenschaftlich belegt. Zahlreiche Studien aus verschiedenen Ländern zeigen, dass überall dort, wo öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter tätig sind, der Qualitätsstandard des Medienangebots und damit das Vertrauen der Bevölkerung in dieses Medienangebot tragfähiger ist als in Ländern ohne öffentlich-rechtliche Sender. Dies gilt umso mehr, je unabhängiger und staatsferner der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist. Diese Unabhängigkeit von Staat und Interessensgruppen zu stärken muss medienpolitisches Ziel sein. Es kann einerseits durch strukturelle Schritte erreicht werden (Zusammensetzung der Gremien), andererseits durch Stärkung der Verankerung beim Publikum, dessen Nachfrage und Bindung an die Sender und letztlich durch Raum und Förderung von Qualitätsjournalismus.

Weitere Ankündigungen zu Veränderungen des Programmangebots im ORF, wie die Änderungen in der Programmstruktur von Ö1 und FM4, verweisen auf die Gefahr, dass die geplante Texthalbierung der „Blauen Seite“ nur eine von mehreren Einschnitten in die Produktion von Public Value durch den ORF darstellen könnte.

Diese drohende Reduktion von Public Value ist besonders kritisch zu beurteilen, da die Öffentlichkeit auch in Österreich in Zeiten von Manipulation und Propaganda eher mehr denn weniger qualitätsvoller Information bedarf.

Indem der öffentlich-rechtliche ORF eine wichtige Säule für den Qualitätsjournalismus bildet, ist er zugleich auch eine tragende Komponente für die Demokratie und die politische Kultur Österreichs. Auch deshalb müssen rundfunkpolitische und rundfunkrechtliche Debatten in der breiten Öffentlichkeit geführt werden, in angemessener Dauer, unter Einbeziehung des gesamten Spektrums der Politik, der relevanten Berufe und Organisationen, und nicht zuletzt auch der Zivilgesellschaft.

Diese Stellungnahme wurde auf Mehrheitsbeschluss des fünfköpfigen Public Value Beirats als eigenständige Initiative verabschiedet (https://www.rtr.at/Public-Value-Beirat). Dies stellt keine Stellungnahme dar, die auf Aufforderung der Medienbehörde KommAustria hin zu aktuellen Geschäftsentwicklungen des ORF erarbeitet wurde.

Der Public Value Beirat ist ein beratendes und wissenschaftliches Gremium, das der Gesetzgeber der Medienbehörde KommAustria gemäß § 6c ORF-Gesetz in einem Teilbereich der Rechtsaufsicht über den ORF zur Seite gestellt hat. Er soll neue Angebote des ORF vor allem im Lichte der sozialen, demokratischen und kulturellen Bedürfnisse der österreichischen Gesellschaft und somit seinen öffentlich-rechtlichen Mehrwert („Public Value“) aus publizistischer Sicht beurteilen. (OTS/IIM)