Journalismus
Es ist schon ein eigenartiges Phänomen: Einerseits geht es uns Österreichern so gut wie noch nie, andererseits sind wir erschöpft, von den Anforderungen des täglichen Lebens. Und mit einem immer schneller drehenden Strudel geraten wir immer tiefer in den Sumpf. In den Sumpf der antidemokratischen Entscheidungen, in den Sumpf der Ablehnung der Vier-Säulen-Theorie des demokratischen Staates, in den Sumpf von Korruption und Freunderlwirtschaft.
Corona und der russische Einmarsch in die Ukraine haben deutlich gemacht, wohin die Reise geht: Zum digitalen Staat. „Der digitale Kapitalismus, vom israelischen Historiker Yuval Harari treffend als ‚Dataismus‘ bezeichnet, tendiert zu folgendem Ungleichgewicht: Seine Innovationen sind im wesentlichen Innovationen einer kleinen reichen Minderheit für eine andere kleine reiche Minderheit“, schreibt vor kurzem die deutsche Tageszeitung DIE WELT.
Der Dataismus spaltet nicht nur die Gesellschaft, sondern er greift sie auch massiv an. In allen Bereichen. So hat das deutsche Zukunftsinstitut in einer Untersuchung festgestellt, dass bis zu einer Million Deutscher in der Pandemie psychisch so krank geworden sind, dass sich zugleich gesellschaftlich inklusiv sind und betreut werden müssen.
Paul Lafargue zitiert in seinen „Persönlichen Erinnerungen“ Karl Marx wie folgt: „Für die Welt arbeiten“. Ob der Begründer des Marxismus damit unsere globale Welt von heute gemeint hat, ist vermutlich zu weit hergeholt. Aber dass wir heute für eine gemeinsame Welt arbeiten (sollten), das hat Corona sehr deutlich gemacht. Da helfen protektionistische Maßnahmen der USA, der Europäischen Union gegen die Großmachtsbestrebungen der Volksrepublik China wenig.
Dieses gemeinsame Handeln von Staaten unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Strukturen im Kampf um die Erhaltung unserer Welt ist wichtig, ist überlebenswichtig für unseren Planeten oder um mit Marx zu sprechen unserer Welt.
Das ist die Weltpolitik im Großen, im Kleinen geht es um das Verhältnis der Menschen zueinander. Der Anteil aller Beschäftigten, die im Homeoffice arbeiten, ist durch Corona von zwölf auf 25 Prozent gestiegen. Die Krise macht soziale Unterschiede sichtbarer und verschärft die Probleme bestimmter Bevölkerungsgruppen. Home-Office ist eben nicht für alle Berufsgruppen geeignet.
Die häusliche Gewalt nimmt seit der ersten Phase der Corona bedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens zu. Auch die Auswirkungen der Viruskrise auf die Psyche sind enorm: die massiven Einschränkungen im Alltag fördern bei vielen Menschen das Entstehen von Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen sowie psychosomatischen Beschwerden. Unter der Krise leiden vor allem auch Kinder und Jugendliche. Einige Studien kommen zu dem Ergebnis, dass es ihnen seit der Pandemie deutlich schlechter geht. Der moderne Kapitalismus hat neue Wege und damit neue Opfer gefunden.
Und was machen so manche Journalisten in dieser Situation? Sie Twittern, in einer eigenen Journalistenblase – ohne Rücksicht auf Verluste und begraben damit den Ruf ihrer Unabhängigkeit und Objektivität.
So ist es kein Wunder, dass besonders unter der Pandemie aber auch die Glaubwürdigkeit der Politik und des Journalismus leidet. Unterstützt von Persönlichkeiten aus Justiz und Politik geht deshalb in diesen Tagen ein „Volksbegehren für Rechtsstaatlichkeit und Antikorruption“ an den Start.
Gegliedert ist das Anliegen in fünf Themenblöcke, in denen es um mehr Anstand und Integrität in der Politik, Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz, eine moderne und umfassende Antikorruptions- und Transparenzgesetzgebung sowie im Kapitel 5 um Pressefreiheit, Medienförderung und Bekämpfung der Inseratenkorruption geht: „Meinungsvielfalt auch in der Medienlandschaft, Pressefreiheit und öffentliche Kontrollfunktion durch Qualitäts- und Investigativ-Journalismus gehören zu den Grundsäulen einer stabilen Demokratie und eines robusten Rechtsstaates. Mit gutem Grund ist all dies in die Europäische Menschenrechtserklärung eingeflossen und hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das umfassend und wiederholt bestätigt. Inseratenkorruption, politische Abhängigkeiten und (partei)politischer Druck auf Medien sind Gift für Demokratie und Rechtsstaat.“
So sehr dieses Volksbegehren zu begrüßen ist, zeigt es doch auch ein zusätzliches österreichisches Phänomen auf. Das anti-solidarische Verhalten und den Kleingeist unter Journalistinnen und Journalisten. Während die Anti-Demokraten alle Journalisten als Mitglieder der „Lügenpresse“ beschimpfen und Kolleginnen und Kollegen auch körperlich bedroht werden, verlieren sich Journalistinnen und Journalisten in kleinkarierten Grabenkämpfen und freuen sich diebisch, wenn sie wieder innerhalb der Branche einem Mitbewerber etwas Neues auswischen können. Egal ob es stimmt – oder nicht. In Zeiten wie diesen nimmt die bewusste Unabhängigkeit des Journalismus ab, und die Parteilichkeit zu.
Portisch, Nenning, Molden und Pollak würden sich vermutlich im Grabe umdrehen, wenn sie die Entwicklung im heutigen Journalismus mitverfolgen könnten. Sie übten Solidarität über alle Partei- und Organisationsgrenzen hinweg – für einen unabhängigen, demokratischen Journalismus in Österreich. (FT)