Demokratie ist eine Herkulesaufgabe
München, 27. Oktober 2023 – Chancen, aber durchaus auch viele Risiken bietet der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) für die Medienbranche. Wie muss also eine geeignete Regulierung aussehen? Darüber haben Dr. Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Dr. Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats und Professorin für Ethik, Dr. Wolfgang Kreißig, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) und Albrecht Bähr, Vorsitzender der Gremienvorsitzendenkonferenz der Landesmedienanstalten im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN diskutiert.
Einerseits, so betonte Ethikrat-Präsidentin Buyx, seien die niedrigschwellige Verfügbarkeit von Informationen und die demokratische Teilhabe der Menschen via digitale Plattformen „ein riesiger Fortschritt“, andererseits ließen sich die Instrumente benutzen zur Manipulation und als „FakeNews-Schleudern“. Medien- und Meinungsvielfalt sichern, die Demokratie schützen und Desinformation einhegen: Das seien die großen Aufgaben nicht nur in Zeiten digitaler Medien generell, sondern vor allem angesichts der rasanten Entwicklung von KI. Einig waren sich die Teilnehmer:innen darin, dass der Faktor Mensch beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz unverzichtbar sei. Buyx erklärte die „ethische Faustformel“ für Künstliche Intelligenz: „Anwendungen der KI sollten menschliche Handlungs- und Entfaltungsmöglichkeiten erweitern und nicht verringern. KI darf den Menschen nicht ersetzen.“
Katarina Barley bekräftigte: „Wir brauchen den menschlichen Faktor und gut ausgebildete Journalistinnen und Journalisten“. Dies sei wichtig gerade in Zeiten der Unsicherheit aufgrund von Krisen und angesichts der Menge an Nachrichten aus unterschiedlich verlässlichen Quellen. Buyx ermutigte Journalist:innen dazu, „proaktiv stolz zu sein“ auf ihre Glaubwürdigkeit, Kompetenzen und Fähigkeiten: „Das können Sie proaktiv in den Vordergrund stellen, dann mach ich mir weniger Sorgen über gesellschaftliche Transformation. Wir wollen, dass Sie uns sagen: Wir kriegen das hin. Wir gestalten das.”
Kreißig betonte die Chancen, die KI für die Rolle der Journalist:innen bieten könne: „Vielleicht bringt das die Branche sogar nach oben“, sagte der DLM-Vorsitzende. Denn der Anspruch an das Vertrauen in Medien steige. Nun gelte es, eine gemeinsame Haltung zu entwickeln und Ziele zu formulieren, wie mithilfe von Künstlicher Intelligenz Vielfalt und Qualität gesichert und Prozesse effektiver gestaltet werden können. Einfluss darauf wird künftig die KI-Regulierung seitens der Europäischen Union haben – durch den geplanten Artificial Intelligence Act, der KI-Anwendungen je nach Risiko unterschiedlich streng regulieren soll. Ein Vorhaben, das die Ethik-Professorin Buyx ausdrücklich lobte: „Der risikobasierte Ansatz der EU ist supersmart.“ Vorgesehen sei eine Gesetzgebung, die sich an den Gefährdungsstufen von KI orientiere. 2 Vier Klassifizierungen seien vorgesehen, erläuterte Barley. So könnten gefährliche KI-Anwendungen verboten werden und Hochrisikoanwendungen eine Einsatzerlaubnis erfordern. Bei geringem Risiko genüge ein Label. Unbedenkliche KI könne einfach verwendet werden. „Wir sind davon überzeugt, dass Künstliche Intelligenz Regeln braucht“, sagte die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Diese Regeln wolle die EU aber bewusst abstrakt und offen halten.
Der DLM-Vorsitzende Kreißig sprach sich für ergänzende gemeinsame Standards in den Unternehmen aus. Diese Leitlinien, an deren Entwicklung die Medienanstalten mitwirken müssten, sollten die Einsatzgebiete und -grenzen von KI ebenso definieren wie die Aus- und Fortbildung für Medienschaffende. Das Problem der gesellschaftlichen Polarisierung und Filterblasenbildung löst das allerdings noch nicht. Albrecht Bähr von der Gremienvorsitzendenkonferenz der Landesmedienanstalten wies daher auf die immer wieder gesellschaftlich diskutierte Idee einer öffentlich-rechtlichen SocialMedia-Plattform als Gegengewicht zu internationalen Konzernplattformen wie X und TikTok hin. Vorstellbar wären Modelle in öffentlicher Trägerschaft, als Stiftung oder als Bündelung erkennbar verlässlicher Angebote der Qualitätsmedien. Dieser Idee stimmte Buyx zu: „Wie so eine Plattform aussieht, ist mir als Ethikerin egal, aber wir brauchen das dringend“, sagte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats. „Wir müssen da etwas anbieten, das braucht vielleicht seine Zeit, aber das kann wachsen. Wenn wir es nicht versuchen, sagen wir ja ‚Macht doch, was ihr wollt mit unserer Debattenkultur‘, und das geht echt nicht.“
Albrecht Bähr fasste die Debatte zusammen: „Demokratie ist eine Herkulesaufgabe, kein Wohlfühlbereich.“
Im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN haben Preisträger:innen des Theodor-WolffPreises 2023 Effizienzgewinne für die journalistische Arbeit durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) herausgestellt. Sie waren sich darüber einig, dass der durch KI gewonnene Freiraum für das eingesetzt werden müsse, was KI nicht könne, nämlich aus menschlicher Perspektive für Menschen zu schreiben.
Politik-Redakteurin Dunja Ramadan von der Süddeutschen Zeitung erklärte, dass das Casting der Protagonisten, die für das Erzählen einer Geschichte wichtig seien, nicht durch den Einsatz von KI geleistet werden könne. „Welche Leute zu Wort kommen, die richtigen auszusuchen, um verschiedene Perspektiven zu einem Thema aufzuzeigen“, das sei ein Kriterium für Qualitätsjournalismus, das KI nicht leisten könne.
Julia Ruhnau, Redakteurin bei den Nürnberger Nachrichten, bestätigte, dass es wichtig sei, „mit den Sachen, über die man berichtet, in Kontakt zu kommen“ und Menschen über Monate zu begleiten. Man müsse wissen, welche Auswirkungen bestimmte Ereignisse, über die Journalist:innen berichten, auf betroffene Menschen haben. „Wie ist das für die Menschen? KI stellt diese Fragen nicht“, führte Ruhnau weiter aus.
Simon Koenigsdorff, Redakteur bei der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten, sagte, dass „Geschichten mit der Lebensrealität von Menschen im Lokalen, vor Ort“ zu tun haben müssten, damit ein Text für Leser:innen interessant sei. Als Beispiel nannte Koenigsdorff das Projekt „Klimazentrale“, in dem er für die Stadt Stuttgart „die Veränderungen des Wetters vor der Haustür im Vergleich zu den vergangenen dreißig Jahren“ visualisiert habe. Für die gründliche Analyse sehr großer Datensätze sei die KI sehr hilfreich und unterstützend gewesen. Dadurch sei ein Effizienzgewinn entstanden, den er für tiefergehende Recherchen zu dem Thema habe nutzen können.
An dem Projekt hat auch Dr. Jan-Georg Plavec, leitender Redakteur für Datenjournalismus und Datenprojekte bei der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten, mitgearbeitet. Er ergänzte, dass KI an der Idee gescheitert wäre, zu visualisieren, was das Wetter vor der Haustür über den Klimawandel erzählt. KI unterstützte bei dem Projekt „Klimazentrale“ die journalistische Arbeit, in dem sie „die Analyse großer Datensätze zum Klima beschleunigte“, sagte Plavec. „Aber die Geschichte sehen, den Spürsinn dafür zu haben, das kann KI nicht.“ (MTM_PD/IIM)