Bericht vom Österreichischen Journalistinnen-Kongress
Wien, 9. November 2022 – Unter dem Motto „Verlottern? Verteufeln? Verhungern? – Qualitätsjournalismus unter Druck!“ findet heuer der Journalistinnenkongress im Haus der Industrie statt.
„Dieser Kongress ist einer, der Mut machen will!“ Mit diesen Worten eröffnete Maria Rauch-Kallat, Initiatorin und ehemalige Frauenministerin (ÖVP), den Kongress. In Hinblick auf die jüngsten Nachrichten sei der Journalismus erneut stark unter Druck. Gerade deswegen wolle sie vor allem junge Frauen ermutigen, sich zu engagieren.
Als Zweite begrüßte Claudia Mischensky, Vize-Generalsekretärin der Industriellenvereinigung, das Publikum. Sie betonte, dass Qualitätsjournalismus besonders hochzuhalten sei, da dieser dem demokratischen Diskurs eine Stimme gebe. Gleichzeitig appellierte Mischensky an die anwesenden Journalistinnen, die ureigene Kompetenz nicht aus den Augen zu verlieren – nämlich „zu recherchieren, zu ergründen, zu erforschen“. Gerade in unsicheren Zeiten sei es unerlässlich, in Medien einen verlässlichen Partner zu haben.
Verfassungsministerin Karolin Edtstadler räumte bei ihrer Begrüßung ein, dass weder Medien noch Politik in den letzten Wochen gut weggekommen seien. Entsprechend gelte es, gemeinsam entgegenzusteuern. „Dafür braucht es jetzt mehr denn je uns Frauen.“
Die darauffolgenden Keynotes standen unter der Fragestellung, ob das so oft zitierte Verkommen des Qualitätsjournalismus absichtlich herbeigeführt werde, um die politische Lage zu steuern. Zur aktuellen Situation des Journalismus in Österreich sagte Daniela Kraus vom Presseclub Concordia mit Blick auf die jüngste Chat-Affäre: „Wir haben ein Problem und wir haben einen Schaden für Journalist:innen, Bürger:innen und Demokratie.
“ Das ORF-Gesetz besage, dass Unabhängigkeit nicht nur ein Recht, sondern auch die Pflicht von Journalist:innen sei. Umso wichtiger sei es jetzt, sich die Glaubwürdigkeit zurückzuerarbeiten. Dafür brauche es keine moralische Selbstzerfleischung, wohl aber zahlreiche Maßnahmen, wie z. B. das Informationsfreiheitsgesetz, um Transparenz zu schaffen. Abschließend appellierte Kraus, sich zu vernetzen, statt sich zu verhabern: „Stärken Sie sich gegenseitig den Rücken.“
Im Anschluss widmete sich Maria Pernegger, Geschäftsführerin des Medienmarktanalyseunternehmens „Media Affairs“, der massiv gesunkenen Glaubwürdigkeit von Qualitätsmedien, die gleichzeitig die Berechtigung des Journalismus massiv bedrohe. Wenig verwunderlich erlebe der Begriff der Lügenpresse aktuell eine Renaissance, wobei sich auch klassische Medien den Vorwurf gefallen lassen müssten, Fake News weiter zu verbreiten. Als Ausweg aus dem Dilemma nimmt sie den Qualitätsjournalismus in die Pflicht, dagegenzuhalten. „Am Qualitätsjournalismus führt kein Weg vorbei“, so Pernegger.
In der ersten Gesprächsrunde des diesjährigen Journalistinnenkongressesunterhielten sich Maria Windhager (Medienjuristin) und Kim Kadlec(ORF, „Am Schauplatz“) unter Moderation von Daniela Kraus (Presseclub Concordia) zum Thema „SLAPP“ (Strategic Lawsuits against Public Participation)–strategische Klagen, die in den vergangenen Jahren immer öfter eingesetzt wurden, um die Arbeit von Journalist:innen zu erschweren.
Laut Maria Windhager ist „SLAPP“ nicht einfach zu definieren. Grundsätzlich sei es ein juristisches Mittel, um Journalist:innen mundtot zu machen. Eine SLAPP-Klage liege vor, wenn „unverhältnismäßige Mittel eingesetzt werden, die Redaktionen im Fortbestehen Schwierigkeiten bereiten“, so Windhager. Es gehe bei der Klage oft nicht um die Durchsetzung von eigenem Recht, sondern um eine Form der Einschüchterung, die Journalist:innen viele Ressourcen kosten könne: Zeit und Geld.
Wenn es zu SLAPP-Klagen kommt, wird das ökonomische Ungleichgewicht zwischen dem Journalismus und Wirtschaftsvertreter:innen sichtbar: Wirtschaftstreibenden, die eine bestimmte Berichterstattung verhindern wollen, tut es nicht weh, zu juristischen Mitteln zu greifen, während es Redaktionen in den wirtschaftlichen Ruin treiben kann.
Wenn Einzelpersonen, die ein Interview gegeben haben, geklagt werden, ist das „doppelt unangenehm, vor allem wenn das Personen betrifft, die keinen ökonomischen Background haben“, betont Kadlec, „dann stellt sich die Frage, wer traut sich noch, ein Interview zu geben, das ist ein Problem, dem man sich widmen muss.“
Das Format „Am Schauplatz“ beispielsweise bekommt hier Unterstützung vom ORF und dessen Rechtsabteilung. Trotzdem hat auch „Am Schauplatz“ mit SLAPP-Klagen zu kämpfen. Das ORF-Format generiert viel Öffentlichkeit und wird hauptsächlich von Vertreter:innen aus der Wirtschaft geklagt, insbesondere von Konzernen aus der Immobilienbranche. „Die Klage ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs“, so Kadlec. Die problematischen Dinge passieren meistens im Vorfeld, vor allem bei der Themenrecherche und dem Anfragen von Leuten. Hier komme es oft zu „Blockaden“, bei der zum Beispiel Drehplatzgenehmigungen verweigert werden, wodurch es schwierig werde, eine bestimmte Geschichte umzusetzen. „Das macht was mit Demokratie und mit unserer Arbeit, das hat langfristige Auswirkungen auf den Journalismus“, so Kadlec. Dennoch könne dank des Rückhalts bei „Am Schauplatz“ trotz rechtlicher Drohungen jede Geschichte gebracht werden.
Wenn es darum geht, welche Lösungen es gibt und wie man SLAPP entgegenwirken kann, nennt Windhager das Stichwort „Transparenz“, „denn in dem Moment, wo man eine SLAPP-Klage öffentlich macht, entsteht ein Bewusstsein und Aufmerksamkeit für das, was passiert und wer da agiert.“ Windhager appelliert an das Publikum: „Schauen Sie hin und benennen Sie die Dinge, denn hier entsteht Öffentlichkeit.“
Die Goldene MedienLÖWIN für das Lebenswerk nimmt 2022 Lou Lorenz-Dittlbacher, ORF III Chefredakteurin, mit nach Hause. Für „Warum wir bleiben – Frauen im Krieg“ bei #WHY stern TV bekommt Reporterin Sophia Maier die Silberne MedienLÖWIN. Der MedienLÖWE geht an die Redaktion von DER STANDARD für FemDwell – Der Sexismus-Classifier zur Förderung von Diversität und Chancengleichheit in Online-Foren.
Erst jüngst stießen Fotos von Leichen aus Burtscha in der Ukraine eine neue Diskussion über den Umgang mit Bildern aus Kriegs- und Krisengebieten an. Doch nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine müssen sich Journalist:innen der Frage stellen: Wie viel Wahrheit ist den Menschen überhaupt zumutbar? Dazu diskutierten beim 24. Österreichischen Journalistinnenkongress unter der Moderation von Martina Mader (Vorsitzende Frauennetzwerk Medien, Wiener Zeitung) vier Journalistinnen: Magdalena Punz (Puls4), Ursula Meissner (freie Kriegs-Fotojournalistin), Rosa Lyon (ORF) sowie Miriam Beller (ORF).
Gerade in Krisenzeiten brauche es in der Berichterstattung reale Fotos sowie Geschichten betroffener Menschen, sind sich die Journalistinnen einig. „Im Krieg wird sehr viel gelogen, auf beiden Seiten. Es ist notwendig, vor Ort zu sein, um Bilder zu machen und zu sehen was wirklich passiert“, so Ursula Meissner. In einer globalisierten Welt seien alle Menschen von einem Krieg oder einer Krise betroffen, sagte Rosa Lyon. Auch Magdalena Punz pflichtete ihren Kolleginnen bei: „Als Journalistinnen sind wir der Wahrheit verpflichtet, darauf müssen sich die Zuseher auch verlassen können. Wahrheit ist den Menschen zumutbar, vor allem in Krisenzeiten.
“ Wichtig sei dabei, nicht nur Schockbilder zu zeigen, sondern mit Opfern zu sprechen, ihnen Handlungsspielraum zu geben.
Nicht nur der Schutz der Leser:innen, sondern auch der Schutz der Interviewten vor Ort müsse für Journalist:innen an erster Stelle stehen. Um die Würde der Betroffenen zu wahren, sollte besonders sorgfältig gearbeitet werden: Denn „Krieg entmenschlicht die Opfer“, so Miriam Beller. Auch für die Journalistinnen ist es oft nicht einfach, mit dem Erlebten umzugehen. Es brauche Strategien, um das Gesehene und Gehörte zu verarbeiten. Wirklich vorbereiten könne man sich auf einen Einsatz in Krisengebieten aber nicht: „Es ist, wie wenn man noch nie Liebeskummer hatte, dann weiß man auch nicht, was Liebeskummer ist. Genauso ist es mit dem Krieg“, meint Meissner.
Gerade in Ländern mit starken patriarchalen gesellschaftlichen Strukturen passiere es Frauen auch häufig, unterschätzt zu werden, so Lyon. Darin kann allerdings auch ein Vorteil liegen: Frauen kommen dadurch manchmal näher als männliche Kollegen an das Geschehen heran, ihnen ist auch oftmals der Zugang zu anderen Frauen erleichtert – damit können auch jene mehr zu Wort kommen, die medial sowieso häufig unterrepräsentiert sind.
Der Frage, wer in der Berichterstattung zu Wort kommt, widmete sich jüngst auch eine Studie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, die Co-Autor Andreas Riedl im Rahmen des Journalistinnenkongresses präsentierte. In nur 25 Prozent der Beiträge in der österreichischen politischen Berichterstattung wird die Meinung oder Einschätzung einer Frau dargelegt, während im Gegensatz dazu die Meinungen von Männern in 68 Prozent der Texte vorkommen.
Mit dem Ziel, die diesem Ungleichgewicht zugrundeliegenden Gründe und Einflussfaktoren zu rekonstruieren, unterzogen die Forscher:innen über 3.500 Nachrichtenbeiträge einer Inhaltsanalyse und führten zusätzlich mit einem Teil der Autor:innen Online-Befragungen und Tiefeninterviews durch. Die Forschenden berücksichtigten dabei drei Ebenen für die anschließende Analyse: Die journalistische Kultur (journalistische Rollen und das Berufsverständnis), die Ebene der Redaktionen sowie die individuelle Ebene der Journalist:innen. Die Gründe für die Unterrepräsentation von Frauen sind vielschichtig, doch gerade auf der individuellen Ebene zeigte sich der stärkste Effekt: 38 Prozent der Nachrichtenbeiträge, die von Frauen verfasst wurden, referenzieren Frauen, doch nur 24 Prozent der Texte von Männern erwähnen Frauen – ein eklatanter Unterschied. (OTS/IIM)