Medien benötigen faire Rahmenbedingungen
Wien, 12. November 2024– Der Analyse der aktuellen Herausforderungen für die Demokratie widmete sich das erste Panel der heutigen parlamentarischen Enquete “Demokratie braucht Zukunft” auf Einladung von Bundesratspräsident Franz Ebner. So gab Martina Zandonella, Expertin beim Foresight Institut, Einblicke in die Erkenntnisse aus dem “Demokratiemonitor”. Sie konstatierte einen Vertrauensverlust in die Politik. Dieser gelte für alle Bevölkerungsgruppen, sei aber besonders bei Personen mit niedrigem Einkommen höher. Für einen Wiederaufbau des Vertrauens brauche es mehr positive Alltagserfahrungen mit Demokratie, meinte sie. Die Herausgeberin der Tageszeitung “Kurier”, Martina Salomon, berichtete von den zunehmenden Herausforderungen der Medien, hob deren Bedeutung für die Demokratie hervor und mahnte faire Rahmenbedingungen ein.
Anschließend reflektierten Mandatar:innen des Bundes- und Nationalrats sowie der Landtage und ein Vertreter der Europäischen Kommission die Impulse der beiden Expertinnen.
Expertin Zandonella: Vertrauensverlust in Politik besonders bei unteren Einkommen
Als “Resilienzfaktor” der Demokratie nannte Martina Zandonella, Demokratieexpertin beim Foresight Institut, die Bevölkerung und deren Verständnis demokratischer Grundwerte. Sie berichtete in ihrer Rede aus den Erkenntnissen der Erhebungen zum “Demokratiemonitor”. Seit 2018 würden dabei Menschen zu ihrem Verständnis von Demokratie und Politik befragt. Aus den Ergebnissen sei ein deutlicher Verlust des Vertrauens in die Politik ablesbar, erläuterte sie. Befanden 2018 noch zwei Drittel der Befragten, dass das politische System gut funktioniere, seien es jetzt nur mehr knapp 40 %. Dieses gesunkene Vertrauen gebe es bei allen Bevölkerungsgruppen, Unterschiede gebe es aber je nach ökonomischer Situation der Befragten. So würde sich die Zufriedenheit im mittleren und oberen Einkommensdrittel erholen, im unteren aber auf niedrigerem Niveau weiter sinken. Nur mehr für ein Fünftel dieser Gruppe würde das politische System gut funktionieren, erklärte Zandonella. Der Vertrauensverlust betreffe dabei “klar” die repräsentativen Einrichtungen der Demokratie. Die Werte für den Bundespräsidenten, das Parlament und die Bundesregierung seien gesunken. Das Vertrauen in Polizei, Justiz und Verwaltung hingegen sei über die Jahre konstant hoch.
Die Gruppe des unteren Einkommensdrittels würde sich in ihrem Alltag oft als Menschen “zweiter Klasse” und nicht wertgeschätzt fühlen. Nicht einmal ein Fünftel von ihnen fühle sich durch das Parlament gut vertreten. Die Konsequenz daraus sei “dramatisch”, sagte Zandonella mit Verweis auf deren niedrige politische Beteiligung. So sei der Anteil der Nichtwähler:innen in dieser Gruppe wesentlich höher als bei höheren Einkommen. Zwar sei bei der letzten Wahl die Wahlbeteiligung gestiegen, dies sei aber fast ausschließlich bei den Gruppen der mittleren und oberen Einkommen erfolgt. Um die Entwicklung beim unteren Einkommensdrittel zu ändern, müsse Demokratie mehr im Alltag der Menschen mit mehr positiven Erfahrungen verhaftet werden, meinte Zandonella.
Im Unterschied zum Vertrauen in die Politik gebe es aber eine über die Jahre stabile Mehrheit bei den Vertrauenswerten in die Demokratie, betonte die Expertin. Die Mehrheit der Menschen würde die Demokratie als beste Staatsform ansehen. Verbesserungsbedarf würden die Befragten aber bei den Beteiligungsrechten und bei den Rechten des Parlaments sehen.
“Medien schauen der Politik auf die Finger und haben damit eine eminent wichtige und unersetzliche Aufgabe in einer Demokratie”, leitete Martina Salomon, Herausgeberin der Tageszeitung “Kurier”, ihren Redebeitrag ein. Seit gut einem Jahrzehnt seien Medien aber unter einem großen Druck. Zum einen seien immer weniger Menschen bereit, für journalistisch aufbereitete Inhalte zu bezahlen. Parallel gebe es einen Einbruch des Werbevolumens bei klassischen nationalen Medien. Jeder zweite Werbe-Euro gehe bereits in Richtung internationaler Plattformen. Dies hätte Sparpakete, weniger Arbeitsplätze in den Medienhäusern sowie letztlich weniger Medienvielfalt zur Folge.
Vom Staat unabhängige Medien seien in einem “Zangengriff” zwischen internationalen Superkonzernen und der Marktmacht des öffentlich rechtlichen Rundfunks. Letzterer sei durch die Haushaltsabgabe finanziell abgesichert. Es brauche faire Rahmenbedingungen, um die Vielfalt mit den privaten Verlagen zu erhalten, forderte Salomon. Eine zunehmende Schieflage ortete die Kurier-Herausgeberin angesichts wachsender Kommunikationsabteilungen bei Politik und Wirtschaft bei gleichzeitig immer kleineren Redaktionen.
Im Bereich der Digitalisierung und sozialer Medien verlagere sich die Deutungshoheit von Medien zunehmend in Richtung “politischer Influencer”, meinte Salomon mit Verweis auf die Rolle von Elon Musk bei den jüngsten US-Wahlen. Die sozialen Medien seien einerseits eine “großartige” Errungenschaft, auf der Kehrseite stünden aber die ungehinderte Verbreitung von Desinformation und Verschwörungstheorien. In diesem Zuge habe der klassische Journalismus bei vielen Menschen einen Glaubwürdigkeitsverlust erfahren. “Medienbashing”, wie etwa von einer “Systempresse” zu sprechen, zähle mittlerweile vielfach zum guten Ton. Als weiteren Faktor machte Salomon eine gewisse “Nachrichtenmüdigkeit” aus. Bei einem “Overkill” an Krisen, wie dies aktuell der Fall sei, trete eine Vermeidung von Nachrichten bei den Menschen ein.
Insgesamt müsse mehr Dialog geführt werden und es mehr Respekt vor anderen Meinungen geben, forderte Salomon. Medien sollten dabei Kompromisse nicht als Schwäche und eine positive Einordnung politischer Arbeit nicht als vorauseilenden Gehorsam betrachten. Medien und Politik seien nicht Partner aber auch keine Feinde, schloss sie ihren Beitrag mit einem Appell für Medienvielfalt.
Im Anschluss an die Impulse der beiden Expertinnen hatten die anwesenden Teilnehmer:innen die Möglichkeit zur Debatte. Christian Wigand, amtsführender Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich berichtete über Entwicklungen auf europäischer Ebene. Demokratie sei keine Selbstverständlich und diese würde angesichts verdeckter Einflussnahme aus dem Ausland, Extremismus, Desinformation und Manipulation vor großen Herausforderungen stehen, sagte er. Zuletzt konnten mit dem Digital Services Act oder den Transparenzregeln für politische Werbung Fortschritte zur Stärkung der Demokratie erzielt werden. Der Schutz der Demokratie sei ein Schwerpunkt der neuen Europäischen Kommission. So seien Maßnahmen gegen Desinformation und gegen den Einfluss aus dem Ausland geplant. Ebenso soll das Bewusstsein für Desinformation gestärkt und die Teilnahme am Demokratieprozess mit Jugenddialogen und Bürgerforen weiter gefestigt werden. Maßnahmen zur Wahrung der Fairness und Integrität von Wahlen sowie der demokratischen Kontrolle sollen weiter entwickelt werden.
Die aktuellen Herausforderungen für die Demokratie debattierten auch Mandatar:innen des Bundes- und Nationalrats sowie der Landtage.
Angesichts von Entscheidungen über den Kopf der Bürger:innen hinweg gebe es eine zunehmende Entfremdung, meinte der niederösterreichische Landtagsabgeordnete Andreas Bors (FPÖ). Als Beispiel nannte er die aktuelle Regierungsbildung ohne die Einbindung des “klaren Wahlsiegers”. Ebenso kritisierte der Abgeordnete die häufiger werdende Unterdrückung “unliebsamer Meinungen” wie während der Corona-Pandemie.
Das Vertrauen der Bürger:innen sei zu jenen Gebietskörperschaften am höchsten, die ihnen am nächsten sind, gab Bundesrat Christian Buchmann (ÖVP/St) als Anregung für das Parlament. Zudem sprach er sich für einen “Wettbewerbsföderalismus” und gegen das “Unwesen” der delegierten Rechtsakte aus.
Das geringe Vertrauen der Jugend in die Politik sollte zu denken geben, erklärte Nationalratsabgeordnete Carina Reiter (ÖVP) mit Verweis auf aktuelle Studienergebnisse.
Menschen seien vor allem dann Demokrat:innen, wenn sie das Gefühl hätten, dass die Demokratie imstande sei, Lösungen zu finden und das Wohlstandsversprechen einzulösen, meinte der Tiroler Landtagsabgeordnete Sebastian Kolland (ÖVP).
Über die sozialen Medien würden sich Informationen oft schnell und unkontrolliert mit der Folge eines Vertrauensverlustes in demokratische Institutionen verbreiten, erklärte Bundesrätin Claudia Arpa (SPÖ/K). Die Menschen sollten diese “Echokammern” verlassen und wieder mehr aufeinander zugehen und in Dialog für gemeinsame Lösungen treten, forderte sie.
Bürgernähe und politische Mitbestimmung seien essentielle Elemente einer funktionierenden Demokratie, betonte Bundesrätin Maria Fischer (SPÖ/St) und sprach sich für mehr Transparenz bei politischen Entscheidungsprozessen aus.
Die Demokratie sei das “Herzstück” der Gesellschaft und nicht selbstverständlich, meinte Bundesrat Günter Kovacs (SPÖ/B) und bemängelte, dass sich zu viele Menschen nicht mehr abgeholt fühlen würden.
Ein Drittel der Menschen in Wien dürften nicht wählen und das könne sich eine Demokratie nicht leisten, kritisierte Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ/W). Auch Nationalratsabgeordnete Julia Herr (SPÖ) bemängelte dies und hinterfragte angesichts einer hohen Zahl an Nichtwähler:innen und Nichtwahlberechtigten, wie repräsentativ der Nationalrat zusammengesetzt sei.
Gegen eine Klarnamenpflicht in Foren trat Nationalratsabgeordnete Henrike Brandstötter (NEOS) ein. Dies schränke die Möglichkeit zur Kritik an Regierungen ein. Zudem sprach sich Brandstötter für mehr Demokratiebildung und eine Stärkung der Medienkompetenz aus.
Oft werde ein falsches Bild von Mitbestimmung mit dem Ergebnis einer Unzufriedenheit kommuniziert, kritisierte Nationalratsabgeordnete Agnes Sirkka Prammer (Grüne). Es gehe dabei nicht um die “Diktatur einer relativen Mehrheit”, sondern um eine Mitgestaltung und die Beteiligung an einem Diskurs zur Entscheidungsfindung. (PK/IIM)